25.09.2016 / Römer 14,17-19 / Wir dienen der Einheit der Menschen

17 Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit, Frieden und Freude im heiligen Geist.

18 Wer darin Christus dient, findet Wohlgefallen bei Gott und Anerkennung bei den Menschen.

19 Wir wollen uns also einsetzen für das, was dem Frieden und der gegenseitigen Erbauung dient!

 

Liebe Gemeinde!

Mit Paulus, mit seinem Römerbrief und gerade auch mit seinem 14 Kapitel und unserem heutigen Abschnitt daraus sind wir wieder einmal mitten im Thema des Verhältnisses der Religionen. Wer ein geübter Kirchgänger ist, wundert sich vielleicht darüber, wie oft das in unserer Zeit anhand der Bibel zum Thema wird. Wird da vielleicht auch etwas in die Bibel hinein gelesen, nur weil das jetzt gerade so aktuell ist? Nein, es ist eher umgekehrt: Für über 1600 Jahre war das Verhältnis des Christentums zu anderen Religionen kein Thema mehr. Das Christentum war Staatsreligion geworden. Die Juden galten als verstockt und die als Mohammedaner beschimpften Muslime, die oft sogar nur Sarazenen oder Türken genannt wurden, galten als christliche Ketzer. Selbst im 19. und 20. Jahrhundert war das Verhältnis der Religionen für die meisten Christen in Europa nur eine theoretische Frage, keine Frage nach dem Zusammenleben. Klar, es gab Gastarbeiter. Aber von denen erwarteten die Deutschen viel zu lange: Die gehen wieder in ihre Heimat zurück. Und die wenigen, die hier blieben, die werden sich schon an uns Deutsche anpassen.

   Wir wissen inzwischen alle: Es kam ganz anders. Wir leben heute in einer Welt, die immer mehr zusammen rückt. Was wir essen und anziehen, womit wir Fernsehen gucken und womit wir Fußball spielen: Es wird fast alles ganz oder in Vorprodukten in anderen Teilen der Welt hergestellt. Wir erfahren in Sekundenschnelle, was irgendwo weit weg auf der Welt passiert und die Menschen dort erfahren auch von uns. Kinder in Afghanistan oder Nepal sind genau so Bayern-München Fans wie unsere Ostfriesenkinder.

   Man sagt: Wir leben im globalen Dorf. Und in diesem Dorf haben die Menschen unterschiedliche Religionen. Wir begegnen uns jetzt mit unserer Verschiedenheit wieder genau so in unserem Alltag, wie das die ersten Christen von Rom taten, an die Paulus hier geschrieben hat. Ja, in Rom lebten sogar ehemalige Juden und ehemalige Heiden in einer Gemeinde zusammen. Und beide haben sie dabei ihre alten Gewohnheiten behalten. Das Thema der Begegnung der Religionen ist also nicht wirklich neu. Schon die ersten Christen mussten auf diese Herausforderungen Antworten finden. Unsere Kirchen haben das nur 1600 Jahre vergessen. Es spielte keine Rolle. Und man hat darum die Antworten des Paulus auf diese Herausforderungen lieber auf andere Probleme bezogen. Das ist ja auch berechtigt. Wenn das Problem nicht mehr da ist, dann bleibt die Antwort darauf aber doch von Bedeutung und kann auch in anderen Lebenslagen hilfreich sein.

   Ja, so lief das 1600 Jahre und plötzlich stehen wir doch genau wieder da, wo einmal alles anfing: beim Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlicher Religion. Das habe auch ich mir als Jugendlicher und auch als Student noch nicht so vorstellen können, dass wir einmal vor dieser Herausforderung stehen. Diese Herausforderung ist langsam gewachsen. Aber nun kommen wir nicht mehr um diese Frage herum, die schon die ersten Christen bewegt hat: Wie können wir als Menschen unterschiedlicher Religion zusammen leben?

   Bevor ich auf unseren kleinen Abschnitt direkt eingehe, will ich noch auf den Römerbrief des Paulus als Ganzes schauen, weil uns so die Grundlage der hier angestellten Überlegungen deutlich wird.

   Vor allem die vorangehenden Kapitel 9 bis 11 zeigen, dass Paulus mit dem Weg Jesu durch Kreuz, Auferstehung, Sammlung von Menschen aus Juden und Heiden und schließlich Wiederkunft Jesu die große Hoffnung verbunden hat, dass die Menschheit wieder eins wird. In seinen ersten Kapiteln hatte Paulus gezeigt: Alle Menschen haben den göttlichen Sinn ihres Lebens verfehlt und sind von sich aus nicht in der Lage, den Frieden, die Liebe und die Gerechtigkeit zu leben, für die sie bestimmt sind.

   Für Paulus waren die Begeisterung durch den auferstandenen Jesus und seine Sammlung von Menschen aus allen Religionen das große Einheitsprojekt Gottes für seine Menschheit. Das Wirken von Jesus Christus zielt bei Paulus im Letzten nicht auf die Bildung einer christlichen Kirche. Christus sammelt sich unsere Kirche, damit wir dieser Einheit der Menschheit dienen. Wir Christen sind darum Menschen, die in jeder Lebenslage für Versöhnung, Verständigung, Gerechtigkeit und Frieden arbeiten.

   Alles das ist die Grundlage auf der Paulus nun hier in unserem kleinen Abschnitt zur Begegnung von Menschen unterschiedlicher Religion mitten im Alltag Stellung nimmt. Wo liegt da das Problem? Jede Religion ist über Jahrtausende gewachsen. Und dabei haben sich die Menschen Vorstellungen von richtig und falsch gemacht. Jede Religion hat ihre eigenen Regeln. Für jede Religion zeigt sich das, was Menschen an ihr wichtig ist, auch in bestimmten Handlungen. Wir feiern Abendmahl oder taufen und konfirmieren und sitzen Weichnachten vor dem Tannenbaum. Das alles ist für einen Muslim oder Buddhist reichlich unverständlich. Und genau so schütteln wir den Kopf über deren religiöse Bräuche.

   Heute fällt uns vor allem am Islam auf, wie Frauen sich dort verhalten müssen. Da sind das Kopftuch oder die Verschleierung. Dass Frauen aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen war zwar bei uns auch noch bis vor 200 Jahren üblich. Da kamen Frauen mit der Heirat unter die Haube. Aber das ist bei uns als religiöser Brauch verschwunden. Und wenn Muslima heute mit einem Burkini schwimmen gehen, dann sahen vor 100 Jahren die Frauen auch bei uns in ihren Badeanzügen noch genau so aus.

   Noch vor etwas mehr als hundert Jahren wurde bei uns auch heftig diskutiert, ob Frauen und Mädchen eigentlich Bildung brauchen oder ob sie zusammen in einer Schule unterrichtet werden können. Denn Frauen und Männer waren bis dahin bei uns auch noch vollkommen getrennt. Und das alles war einmal begründet im christlichen Glauben.

   Wir sagen: Bei den Muslimen werden die Frauen unterdrückt. Doch auch bei uns war das noch bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts so, dass sich die Frau ihrem Mann unterordnen musste und ohne die Erlaubnis des Mannes kein Konto führen durfte und keine Arbeit annehmen konnte. Und erst in dieser Woche haben Frauen auch bei uns das Recht bekommen, dass sie in der Ehe den Geschlechtsverkehr verweigern dürfen und dafür ein einfaches „Nein“ ausreicht. So weit sind wir also von den Verhältnissen anderer Religionen auch gar nicht entfernt: Höchstens 50 Jahre Unterschied und manchmal erst wenige Tage.

   In den letzten Wochen konnten wir von Schächtungen in Ostfriesland lesen.  Diese Schächtungen haben die Muslime von den Juden übernommen. Und die Juden befolgen damit Gebote aus unseren Büchern Moses, Gebote, die nach dem Bericht der Bibel genau so von Gott am Sinai verkündet worden sind, wie unsere Zehn Gebote. Die Schächtungen hatten den Sinn, dass das Blut als Träger des Lebens in Gottes Erde zurück laufen konnte. Das Leben wurde mit der Schächtung dankbar an Gott zurück gegeben. Sowohl ein orthodoxer Jude wie ein frommer Muslim essen darum nur geschächtetes Fleisch.

    Wenn Gott das doch geboten hat, warum schächten wir Christen dann nicht? Ganz schlicht, weil Paulus für Menschen in seinen Großstadtgemeinden eine Ausnahmeregelung geschaffen hat, die dann später zur Regel wurde. Die Christen in den großen Städten des römischen Reiches mussten sich nämlich auf den Märkten der Stadt mit Fleisch versorgen. Dieses Fleisch war für Juden und eigentlich auch für Christen doppelt unrein: Zum einen stammte alles Fleisch, das die Heiden anboten, von Tieren, die zuvor den heidnischen Göttern geopfert worden waren. Alles frei verkäufliche Fleisch war Götzenopferfleisch.

    Konnte man das als Christ essen? Nein, sagten viele Christen. Das verstößt doch gegen das 1. Gebot. Und zudem war es auch noch unrein, weil die Tiere bei der Schlachtung nicht geschächtet worden waren und darum das Blut enthielten, das Gottes Leute doch eigentlich meiden sollten.

   Im 14. Kapitel des Römerbriefs hören wir darum von einem Streit unter den römischen Christen, ob man dieses nicht geschächtete, unreine Götzenopferfleisch essen darf oder nicht. Paulus hatte vor dem Brief an die Römer an die Thessalonicher geschrieben: Christen können alles genießen, wofür sie Gott Danke sagen, so wie man bei der Schächtung mit der Rückgabe des Blutes an die Erde Gott dankte. Paulus sagte dort also: Wichtig ist nicht die Schächtung, wichtig ist eure Dankbarkeit. Daraus ist dann unser christliches Tischgebet entstanden. Wir Christen dürfen Tiere nur töten und verzehren, wenn wir Gott dafür dankbar sind. Tiere nach Lust und Laune oder gedankenlos töten und verzehren ist auch uns Christen nicht so einfach erlaubt.

   Hier im Römerbrief sieht die Antwort des Paulus jedoch etwas anders aus. Paulus bleibt zwar dabei: Das Wichtige ist die Dankbarkeit. Das Fleisch an sich macht nicht unrein. Aber Paulus sieht, wie die Menschen darüber in Streit geraten. Er spricht von Starken und Schwachen. Die Starken, das sind diejenigen, für die die Art des Fleisches ohne Belang ist. Entscheidend ist allein die Dankbarkeit. Aber es gibt im Zusammenleben auch die Schwachen, die dabei Skrupel haben, weil sie es immer so gewohnt waren, nur koscher  geschächtetes Fleisch zu essen.

   Und was sagt Paulus nun zu diesen Schwachen? Sagt er: Zwingt sie das einzig richtige zu tun, so wie französische Polizisten eine Frau am Strand zwangen ihren Burkini auszuziehen. Verbietet Paulus die Schächtung, weil sie für ihn bedeutungslos geworden ist. Verlangt er allen die Freiheit ab, die er selbst hat?

   Nein, im Gegenteil: Er fordert von den Starken Rücksicht auf die Schwachen. Er nimmt Ernst, dass sie mit ihrem Gewissen an diese Bräuche und Rituale gebunden sind. Auch wenn er selbst anderer Meinung ist, nimmt er doch ernst, dass für diese schwachen Menschen mehr daran hängt. Darum fordert er die Rücksicht der Starken auf die Schwachen.

   In unserem kurzen Abschnitt sagt er nun, warum er sich im Streit der Römer um das Fleisch so entschieden hat: Er sagt, das Reich Gottes hängt doch  nicht an dem, was wir wie essen oder trinken. Das macht nicht unrein. Und damit übernimmt er die Position der Starken in Rom, die für sich eine neue christliche Freiheit gewonnen haben. Doch obwohl er die Freiheit dieser Christen bestätigt, fordert er doch Rücksichtnahme auf die anderen, die es nicht übers Herz bringen, Fleisch zu essen, das nicht zuvor koscher geschächtet worden ist. Denn das Reich Gottes besteht zwar nicht aus der Einhaltung von Reinheitsregeln beim Essen, sehr wohl aber darin, dass Gott durch Jesus Christus den Menschen Einheit und Frieden bringen will. Das Reich Gottes besteht in der Ermächtigung durch den Geist Gottes zur Gerechtigkeit, zum Frieden und zur gemeinsamen Freude. Und Paulus sagt: Das ist etwas, womit ihr bei Niemandem aneckt. Das findet sogar Anerkennung bei euren Mitmenschen. So fordert Paulus auf: Arbeitet ihr als Christen für den Frieden der Menschheit. Das muss immer euer wichtigstes Ziel sein und stärkt euch in eurer Gemeinschaft darin, dass ihr diese Aufgabe wahr nehmen könnt. Bei allen unseren Entscheidungen dürfen wir den Frieden der Menschheit niemals aus den Augen verlieren.

   Ich finde das enorm, wie Paulus damals auf diese Herausforderung reagiert hat. Von der Klugheit des Paulus an dieser Stelle sind wir in Deutschland heute noch weit entfernt. Paulus fordert uns auf: Bewährt die Stärke eurer Freiheit gerade darin, dass ihr denen gegenüber tolerant sein könnt, die noch nicht so frei sind wie ihr! Wichtiger als recht zu haben und auf der richtigen Seite zu stehen, ist immer der Frieden.

   Paulus ist natürlich nicht ohne Grund zu dieser Lösung gekommen. Paulus wird schon als jüdisches Kind und jüdischer Jugendlicher darunter gelitten haben, dass er als Jude unter den Griechen und Römern immer ein Außenseiter war. Und während seines Studiums in Palästina hatte er mitbekommen wie brutal die Römer die Juden dort regierten. Aus Angst vor einem Krieg zwischen Juden und Römern, wie er dann ja später tatsächlich losbrach, hatte Paulus die Christen verfolgt. Denn die bekannte sich ja zu Jesus als dem König Israels während doch der römische Statthalter und römische Vasallenkönige über Palästina herrschten. Eine solche Infragestellung ihrer Herrschaft  musste in den Augen der Römer und der mit ihnen verbündeten jüdischen Elite darum beseitigt werden. Damit der römische Friede stabil bleiben konnte, musste jede Aufstandsgefahr mit Gewalt gebannt werden. Das war die römische Art des Friedens. Bereits die Verfolgung der Christen erfolgte bei Paulus also bereits um des Friedens willen.

   Und das war dann die große Entdeckung des Paulus: Nicht die römische Militärmacht bringt den Frieden, sondern der vom römischen Militär hingerichtete Jesus, der tatsächlich der Messias Israels war. Wir sehen: Das war für Paulus keine Nebensache. Nein, Christus war in seinen Augen dafür gekommen, damit es Frieden wurde zwischen Juden und Heiden, Frieden zwischen den Religionen. Darum ist das auch nicht nur ein Hineinlesen von aktuellen Herausforderungen in einen alten Text. Es ist umgekehrt: Wir haben heute erstmals wieder im Alltag eine Begegnung und ein Miteinander von Menschen unterschiedlichster Religion wie zur Zeit des Paulus. Und erst jetzt verstehen wir darum, vor welchen Problemen er stand und welche Lösungen er im Namen Gottes dafür gefunden hat.

   Mit dem weltweiten Terror, dem Syrienkrieg und der Flüchtlingskrise wird uns heute gezeigt in welchen Unfrieden die Intoleranz und Ungerechtigkeit zwischen den Religionen führt. Militär, Waffen, Polizei und immer mehr Überwachung werden uns nicht wirklich Sicherheit geben können. Damit bekommen wir die Wut, den Hass und das Gefühl von Ungerechtigkeit und Unterdrückung unter den Muslimen in aller Welt nicht in den Griff. Paulus hat Recht: Nur Frieden und Gerechtigkeit  zwischen den Religionen und Freude an einander können vor Hass und Gewalt bewahren.

   Als Christen werden wir uns darum für Toleranz gegenüber Menschen fremder Religion einsetzen. Im Interesse des Friedens werden wir lernen müssen mit unserer Verschiedenheit zu leben. Lernen wir das von Paulus: Nichts ist so wichtig wie der Frieden. Aus Sehnsucht nach Frieden überwinden wir unser Unbehagen gegenüber dem Fremden. Lernen wir das von Christus: Als Christen sind wir Diener der Einheit der Menschheit.   

Amen