04.09.2016 / 1. Petrus 5,6 (5-11) / Gott regiert?

6 Beugt euch demütig unter die starke Hand Gottes, damit er euch zu seiner Zeit erhöhe.

Liebe Gemeinde!

Na, der Spruch will ja wohl so überhaupt nicht zum heutigen Bauernmarkt in Rysum passen. Von Demütigung heute keine Spur! Im Gegenteil: Rysums 5. Jahreszeit ist angebrochen und wir lassen es heute so richtig krachen. Rysum wird am Ende des Tages wieder einmal stolz sein, dieses gewaltige Fest ausgerichtet zu haben. Also, der Spruch passt überhaupt nicht zu dem heutigen Fest. Und überhaupt:

Dieser Spruch, ja eigentlich der ganze Brief des Petrus will auf den ersten Blick so gar nicht auf unser heutiges Leben passen. Der 1. Petrusbrief war an Christen gerichtet, die unter der Verfolgung durch die römische Staatsmacht und Anfeindung durch Teile der Bevölkerung gelitten haben. Wir leben heute zum Glück in einem Land, in dem Staat und Kirche voneinander getrennt sind, der Staat sich nicht in kirchliche Angelegenheiten einmischt und auch von uns Christen keine gottgleiche Verehrung erwartet. Das war im römischen Kaiserreich eben anders. Da zeigten die Bewohner des römischen Reiches ihre Unterwerfung und Demütigung unter die Herrscherhand des Kaisers durch ein Opfer für den vergöttlichten Geist des Kaisers. Wer das Opfer für den Geist des Kaisers verweigerte, verweigerte die Unterwerfung und Demütigung unter der starken Hand des römischen Kaisers. Die Christen dagegen ließen sich nicht vom Geist des Kaisers bestimmen, sondern vom Geist Gottes. Sie verweigerten dem Kaiser das geforderte Opfer. Und darum wurden sie verfolgt, zum Kaiseropfer gezwungen und bei anhaltender Verweigerung als Feinde des römischen Imperiums hingerichtet.

   Der 1. Petrusbrief stammt aus einer Zeit, wo es für die Christen unmöglich geworden war, das Kaiseropfer nur scheinbar zu leisten und heimlich doch Christen zu bleiben. Es gab nur  die scharfe Alternative: Christ bleiben oder Kaiseropfer. Und Christ bleiben hieß dann eben in letzter Konsequenz: Christ bleiben bis hinein in die Verfolgung und die Ermordung durch das römische Imperium. 

   Die mörderische Macht des Imperiums erscheint im Anschluss an den ausgewählten Vers als Macht des Teufels, der wie ein Löwe umhergeht und alles zu verschlingen sucht. So wie viele Christen zur Belustigung des Publikums tatsächlich in der Gladiatorenkampf-Arena den Löwen zum sicheren Fraß vorgeworfen wurden.

   Für die Christen der Zeit des 1. Petrusbriefes war das brutal, was sie mitmachen mussten. Sollte man dann seinen Glauben nicht lieber aufgeben? War es nicht vernünftiger, lieber das eigene Leben zu retten? Im Anschluss an den ausgesuchten Vers ermuntert der Schreiber des Briefes in der Autorität des Petrus darum  Haltet durch! Er rechnet damit, dass die Zeit der Verfolgung bald vorbei sein und dann das ewige Reich Gottes über die Macht des römischen Reiches siegen wird. Er ermuntert: Haltet durch. Werft die Flinte nicht zu früh ins Korn. Ihr seid dazu bestimmt, in Gottes Reich zu herrschen. Verliert dieses Ziel nicht aus den Augen! Bald habt ihr es geschafft.

  Wenn wir hören, was diese Menschen damals durch machen mussten, da können wir überhaupt erst einmal ermessen, welchen Fortschritt es bedeutet, dass wir heute unseren Glauben frei und offen leben können. Wir müssen für unseren Glauben nicht mehr mit dem Leben bezahlen. Und wir haben diese Freiheit zum einen, weil Christen zur Zeit des 1. Petrusbriefes und danach ihren Glauben trotz Verfolgung und Tod durchgehalten haben. Unser Glaube ist aufgrund ihrer Entschlossenheit nicht unter gegangen.

   Und wir haben diese Freiheit auch vor allem deshalb weil sich auch im Anschluss an die Reformation besonders die reformierten Christen in aller Welt für Glaubens-, Religions-, und Gewissensfreiheit eingesetzt haben.  Gerade unsere reformierten Glaubensvorfahren waren an dieser Stelle besonders aktiv und haben unsere moderne Religionsfreiheit geprägt. Darum haben wir als evangelische Kirche heute auch eine große Verantwortung, dass wir diese gleiche Religionsfreiheit auch Menschen anderer Religion in unserem Land gewähren.

   Wir können gerade als reformierte Christen nicht anti-islamisch sein. Wir haben aus unserer eigenen Geschichte gelernt und sind gerade darum auch begeisterte Demokraten und Menschenrechtler. Wir richten uns gegen jede Missachtung von Menschenrechten und Gleichberechtigung egal von welchem Menschen sie ausgeht. Aber wir richten uns nicht gegen eine Religion. Denn wenn wir das machen, dann werden wir nach dem 1. Petrusbrief selbst zu einem Teil der teuflischen, gegen Gott gerichteten zerstörerischen Macht.

  Wir leben zum Glück in unserem Land nicht mehr selbst in Zeiten der Christenverfolgung. Wir sind zum Glück nicht mehr einer solchen zerstörerischen Macht ohnmächtig ausgeliefert. Das ist zunächst erst einmal ein ganz gewichtiger Grund, dankbar zu sein. Wir müssen wirklich dankbar sein, dass wir unseren Glauben und unsere Meinung und unsere Ansichten frei und offen leben können. Das können wir gar nicht dankbar genug würdigen, dass wir in einem Land leben dürfen, in dem das möglich ist. Und wenn jetzt innerhalb des nächsten Jahres jede Menge Wahlen anstehen, dann muss unsere Wahlbeteiligung und Wahlentscheidung auch von dieser Dankbarkeit für unsere Demokratie bestimmt sein. Das ist das erste, was uns dieser Einblick in die Christenverfolgung der biblischen Zeit sagt.

   Wir können also froh sein, dass wir zumindest hier bei uns vor solchem Leiden und solcher Ohnmacht der Religionsverfolgung bewahrt sind. Aber Ohnmacht und auswegloses Leiden begegnen uns natürlich trotzdem. Und darum spricht unser heutiger Predigttext auch noch in andere Situationen. Er gibt auch eine Antwort auf die Frage: Wie kann ich es als Christ verarbeiten, wenn ich einer solchen zerstörerischen Macht ohnmächtig ausgeliefert bin?

   Heute erleben wir das nicht mehr in Christenverfolgung, aber viele unserer Gemeindeglieder sind in ihrer Familie oder sogar selbst betroffen von Krankheiten wie Krebs und Demenz. Das erleben sie als Einbruch einer zerstörerischen Macht, der sie ohnmächtig ausgeliefert sind. In beiden Fällen gibt es keine Heilung, nur Linderung und Hinauszögern. Immer häufiger gelingt es den Krebs zumindest vorläufig zu besiegen. Mancher lebt Jahrzehnte mit ihm. Aber oft ist dieses Überleben mit schweren Nebenwirkungen der Therapie verbunden, die oft ebenso ohnmächtig machen. Wir lernen allmählich mit Demenz zu leben, sie als einen langen Abschied auf Raten zu begreifen. Aber man kann eben nichts machen. Ohnmächtig sind wir dieser Krankheit ausgeliefert, die fast jeden zweiten von uns treffen wird.

   Ohnmächtig fühlen sich auch immer mehr Menschen angesichts des Zustandes unserer Welt. Die Konflikte nehmen zu. Scheinbar ist Niemand mehr da, der sie irgendwie bewältigen kann. Verständlich, das die Menschen fliehen vor Krieg, Bürgerkrieg, Verlust ihrer Lebensgrundlagen und Zukunftslosigkeit. Aber wo sollen die alle hin? Und die Europäer sind sich schon uneinig. Und die Russen gegen die Amerikaner. Die Saudis gegen die Iraner, die Schiiten gegen die Sunniten und in Afrika ein Stamm gegen den anderen und jetzt greifen die Staat die Wirtschaftsmacht der anderen an: USA gegen VW, Deutschland gegen Fiat. Die Zeit des selbstverständlichen sicheren Wohlstandes ist vorbei. Wir spüren, wie die Welt an ihrer großen Ungerechtigkeit zerbricht, in der einige Weniger immer reicher werden und zugleich immer mehr in absolute Armut absinken und die mittlere Gruppe dazwischen zwar im Moment noch gut lebt, aber auch immer mehr nur von der Hand in den Mund. Das macht Angst. Auch das verbreitet ein Gefühl von Ohnmacht. 

  Die Frage auf, die der 1. Petrusbrief seine Antwort gibt, ist bei uns also nicht dieselbe, aber doch ähnlich: Wie kann ich es als Christ verarbeiten, wenn ich einer solchen bedrohlichen und zerstörerischen Macht ohnmächtig ausgeliefert bin? Wie kann ich Krebs, Demenz und der Zuspitzung der Konflikte als Christ begegnen?

   Die Antwort, die er hier gibt, ist erstaunlich: Beugt euch demütig unter die starke Hand Gottes, damit er euch zu seiner Zeit erhöhe. Das klingt zunächst wie ein Abwimmeln unserer Sorgen. Zumal es im Anschluss auch direkt heißt: Werft alle eure Sorgen auf Gott, denn er kümmert sich um euch.

   Doch hören wir den Satz lieber noch einmal aufgrund der Situation der Verfolgung der ersten Christen: Der Brief fordert sie auf: Beugt euch nicht vor dem Kaiseropfer und demütigt euch nicht unter der starken Herrscherhand des Kaisers, sondern unterstellt euch der Herrscherhand Gottes! Es ist also ein Hoffnungssatz: Im Moment sieht es so aus, als ob die zerstörerischen Kräfte die Oberhand  haben. Im Moment seid ihr ihnen ohnmächtig ausgeliefert. Aber Gott behält letztlich die Herrschaft. Seine Wille wird sich letztlich durchsetzen. Glaubt doch nicht, dass Gott euch vergessen hat! Er kümmert sich um euch und am Ende wird er dafür sorgen, dass auch ihr zu eurem Recht kommt.

   Der 1. Petrusbrief rechnete dabei – wie gesagt – noch damit, dass die Christen seiner Zeit noch zu ihrer Lebenszeit den Anbruch des Reiches Gottes erlebten, aber weil bei Gott 1000 Jahre wie ein Tag sind, war er sich auch schon sicher, dass auch die in der Zwischenzeit Verstorbenen an diesem kommenden Reich Gottes Anteil erhalten werden. Der 1. Petrusbrief relativiert bereits unsere Zeit- und Ortsvorstellungen in Bezug auf Gottes Reich und unseren Anteil an Gottes ewiger Herrlichkeit. Aus der Hoffnung auf das Reich Gottes auf Erden wird hier schon langsam die Hoffnung auf ewiges Leben in Gottes Herrlichkeit.

   Aber während das Wann und Wo der Erfüllung unserer Hoffnungen unwichtiger wird, hält der 1. Petrusbrief fest: Entscheidend ist, dass Gott die Herrschaft behält. Egal wie es im eigenen Leben und in der Welt aussieht. Auch wenn es so aussieht, als ob andere zerstörerische Mächte die Oberhand haben, es sieht nur so aus: Gott hat die Herrschaft. Gott regiert. Und er hat Dich zum Erben des Reiches Gottes bestimmt. Und nicht einmal Lebensgefahr, ja und nicht einmal der Tod, den du erleiden musst, ändert daran etwas, dass Gott es gut mit Dir meint und Dein Leben letztlich zu seiner Erfüllung führen wird.

   So hoffen wir im Krebs wie jeder andere Mensch auch auf Rettung in der Krankheit und wir hoffen auf Bewahrung vor der Demenz. Unsere eigentliche christliche Hoffnung aber reicht weiter: Selbst wenn uns Krebs und Demenz treffen, selbst wenn ihre Macht unausweichlich zerstörerisch ist, so halten wir doch an Gott fest. Wir hoffen fest, dass Krebs und Demenz nicht das letzte unseres Lebens sein werden, sondern Gott eine andere und letzte Erfüllung unseres Lebens in seiner ewigen Herrlichkeit für uns bereit hält. Das ist unser christlicher Trost mitten im Erlebnis zerstörerischer Macht, die uns ohnmächtig sein lässt.

   So hören wir auch angesichts des hoffnungslosen Zustandes unserer Welt nicht auf zu hoffen. Während die Eliten unserer Welt schon fast aufgegeben haben und viele sich damit abfinden, dass die fetten Jahre nun eben einfach vorbei sind und jeder nun zusieht, noch ein möglichst großes Stück vom Kuchen für sich selbst abzubekommen, hören wir als Christen nicht auf zu hoffen. Wir geben unsere Welt nicht einfach auf. Wir suchen als Christen weiterhin nach Wegen zu einer gerechteren und friedlicheren Welt. Wir geben unsere Welt deshalb nicht auf, weil wir wissen, dass Gott an ihr festhält.

   Aber kann man das denn wirklich glauben, dass Gott doch noch alle Zügel in der Hand hält, wenn im eigenen Leben und in der großen Welt vieles so aus dem Ruder zu laufen scheint. Was sagt der 1. Petrusbrief dazu? Stellt die Übermacht der zerstörerischen Mächte nicht Gottes Macht in Frage?

  Indirekt steckt auch die Antwort auf diese Frage in unserem kurzen Vers. Die Christen werden aufgefordert das Kaiseropfer zu verweigern: Beugt euch nicht unter der starken Herrscherhand des Kaisers, sondern unterstellt euch der Herrscherhand Gottes! Wenn die Christen das Opfer an den römischen Kaiser verweigern, dann bedeutet das Leiden und Tod. Die ersten Christen werden aufgefordert, dieses Leiden in der Hoffnung auf Gottes endgültige Zuwendung auf sich zu nehmen. In diesem unausweichlichen Leiden ihrer Verfolgung begegnete diesen Christen eine teuflische Macht. Aber das ist eben nicht die letzte Macht. Selbst die Ohnmacht, die unsere Hoffnung bedroht, steht noch in Gottes Macht. In dem Leiden, das diese Christen getroffen hat, sieht der 1. Petrusbrief einige Verse vorher eine Bewährungsprobe von Glaube und Hoffnung.

   So wird hier festgehalten: Gott ist nicht machtlos. Er hat auch jetzt noch die Zügel in der Hand. Das Bedrohliche und Zerstörerisch, das wir in unserem Leben bewältigen müssen, stellt Gottes Macht und seinen Sieg am Ende nicht in Frage. Gottes Reich wird kommen und sich durchsetzen. Und alles, was wir jetzt noch an Leiden, Ohnmacht und Tod erleben müssen, alles das kann dieses erfüllte Leben als Geschenk Gottes am Ende nicht in Frage stellen.

   Es ist für uns aber eine Herausforderung, gerade dann, wenn alles anders erscheint,  unser Vertrauen in Gottes Güte und unsere Hoffnung auf den endlichen Sieg des Lebens und der Gerechtigkeit niemals aufzugeben. Darum schauen wir im Krebs und in der Demenz weiter voraus. Darum finden wir uns als Christen nicht ohnmächtig mit einer Welt ab, die aufhört nach Gerechtigkeit und Frieden zu streben. So unterstellen wir uns der mächtigen Herrscherhand Gottes.

Amen